Montag, Juli 11, 2011

Freitag, Juli 08, 2011

52 months


Zurück bin ich. Nach 52 Monaten, vier Jahre, die mir einmal so lange wie die 52 erscheinen und dann doch wieder nur wie die vier. Jahre mit Reisen ins Elsass, nach Belgien, nach Kopenhagen, Brüssel, Dublin, Italien, Irland, Marocco, Malta, nach Berlin, Köln, an die Ostsee und in den Schwarzwald, nach Istanbul, Indien, Äthiopien. Mit Kindern, die kommen und Menschen, die gegangen sind, mit Hochzeiten, Umzügen und neuen Jobs. Mal sehn, wohin es weiter geht. Ich springe zwischen den Zeiten.

Sonntag, Juni 26, 2011

Mittwoch, Februar 14, 2007

Aus dem Augenwinkel an der Kreuzung

Donnerstag, Februar 08, 2007

Schattenseiten

Dieses Mal ein Beitrag zu den dunklen Seiten dieses Landes, von denen es doch einige gibt und die alle doch so unglaublich miteinander verflochten scheinen, dass ich gar nicht weiss wo anfangen mit meiner Empörung und Motiviation:
Wir führen gerade ein Weiterbildungsseminar durch zu Advocacy- und Lobbyarbeit, Themenschwerpunkt ist in dieser Woche Menschenhandel. Das Verschwinden von Menschen - besonders Frauen und Kinder - ist in Indien ein allgegenwärtiges Thema.

Im Rahmen unseres Seminars besuchen wir die Red Light Area Punes 'Budwar Peth' und die dort tätige NGO Kayakalp. Budwar Peth befindet sich in der Altstadt Punes, dort wo ich Saris kaufen gehe, 5 Minuten von meinem Lieblingsplatz in einem kleinen Tempelinnenhof, in der Nachbarschaft zum Gemüsemarkt, einen Seitenblick neben dem Postamt - und doch habe ich diese Gassen nie wahrgenommen, nie die Frauen gesehen, die in den Türeingängen stehen und in den Fensterrahmen sitzen. Ältere Frauen und jüngere, in Saris oder in Miniröcken, aus Nepal und aus Indien, manche mit grellem Lippenstift, die meisten im Versuch, dem hellhäutigen Schönheitsideal näher zu kommen, mit weißlich gepudertem Gesicht.
Kayakalp hat ein Netzwerk von Peer Educators organisiert, dass heisst ehemalige Prostituierte, die die anderen Frauen beraten, da diese besser in die Community integriert sind als eine von aussen kommende Sozialarbeiterin. Sie klären über Geschlechtskrankheiten und HIV/ AIDS auf, helfen ihnen ihre Rechte zu vertreten. Kayakalp ist an einer mobilen Klink beteiligt, da die Frauen hier ihr Viertel oder ihre Gasse nie verlassen und an den öffentlichen Klinken stigmatisiert werden, wenn sie ihre Adresse nennen. Zudem gibt es eine Kinderkrippe, im Augenblick leider nur tagsüber.
Mit zwei Mitarbeiterinnnen von Kayakalp besuchen wir ein Gebäude, in dem sich mehrere Wohnungen befinden, die als Bordelle dienen. Das Gebäude trägt den Namen 'Disco', vor dem Hauseingang ein Müllcontainer, wir müssen über Pfützen springen, um das dunkle Treppenhaus zu erreichen. Wir besuchen Wohnungen, in denen nur Frauen aus Nepal oder nur aus dem Nachbarbundesstaat Andra Pradesh leben und arbeiten. Es sind kleine Wohnungen mit einem Vorraum, in dem 10 bis 20 Frauen auf ihre Freier warten. Die "Zimmer" befinden sich im hinteren Teil der Wohnungen: kleine Abteile, die voneinander mit Vorhängen oder Spanplatten getrennt sind. Die Betten nicht lang genug, um sich auszustrecken. Wir sind angewiesen, unsere Fragen für später aufzubewahren und nicht die Frauen direkt nach dem Wie und Woher zu fragen, sondern nur ein bisschen Small Talk mit ihnen zu machen. So beantwortet uns Seema, die Leiterin von Kayakalp, unsere Fragen, als wir in ihren Räumen sitzen. In Budwar Peth leben und arbeiten ca. 4000 Frauen mit ihren Kindern, etwa 1000 kommen täglich nur für ihre Tätigkeit aus den Slums hierher. Sie arbeiten für 20 - 100 Rupien (das sind 0,35 - 1,80 Euro) pro Freier, von denen sie zwischen 5 und 15 am Tag haben. Seema schätzt, dass um die 80% von diesen Frauen hierher verkauft worden sind. Die Frauen müssen 50% von ihren Einkünften an ihre ghariwalli - die "Managerin" des Bordells, wie sie mir vorgestellt wird - abgeben. Arbeitet man dagegen in der Polizeistation hier um die Ecke, scheint man gut zu verdienen. Seema erzählt, wie beliebt dieser Posten ist, wird man hier doch besonders gut mit Bestechungsgeldern versorgt - Prostitution, Menschenhandel, die Bereitstellung von Räumen für Prostititution, all das ist ja vor dem Gesetz doch illegal (nicht das Kaufen von Sex allerdings).

Im Gespräch in den Räumen von Kayakalp (in den Kisten im Hintergrund: Kondome).
In den Räumen von Kayakalp - 2 ehemalige Prostituierte, nun Peer Educator, berichten.

Am nächsten Tag besucht uns Asim Sarode von einer NGO, die unter anderem Rechtsberatung für Frauen anbieten, die unter dem Vorwurf Prostitution festgenommen wurden. Mit ihm gekommen sind Mary und Gauri, die beide in Budwar Peth leben. Mary aus Goa lebt schon einige Jahre in Budwar Peth und arbeitet mittlerweile als Peer Educator und als Leiterin einer Community Kitchen im Viertel. Mary wurde mit 18 von einem Verwandten für 30 000 Rupien (ungefähr 540 Euro) an ein Bordell verkauft. Diese Schuld sowie die Zinsen wurden wie bei jedem Fall von Trafficking auf sie übertragen. Sie hat zwei Kinder, von denen eines in Bombay in einem Heim und eines in Deutschland bei Adoptiveltern lebt. Sie ist HIV positiv, arbeitete jedoch bis vor kurzem als sich die Möglichkeit bot, der Community Kitchen zu arbeiten, als Prostituierte - durch ihre Tätigkeit bei der NGO setzt sie sich aktiv mit der Situation der Frauen auseinander. Gauri ist erst seit etwa 7 Monaten in Pune und erzählte nur sehr wenig. Sie war alleine unterwegs, als ihr von einem Mann angeboten wurde, sie nach Hause zu bringen. Gauri nahm an und fand sich in einem Bordell in Budwar Peth wieder.
Diese Geschichten hören sich alle viel zu unglaublich, aber doch sind es keine Einzelfälle (kleine Statistik am Rande: jedes Jahr verschwinden in Indien ca. 44 500 Kinder, von denen 11 000 unentdeckt bleiben. Alleine in Bombay waren das 2006 948 verschwundene Kinder, die nie mehr aufgetaucht sind. Und die Frauen sind in diesen Zahlen noch gar nicht inbegriffen).
Aber warum gehen die Frauen nicht zurück? fragt man nur so lange bis man von den Drohungen und der Gewalt hört. Die Frauen haben keine finanziellen Mittel, haben meist keine Ausbildung und sind analphabetisch, sprechen in vielen Fällen nicht die Sprache der Stadt in die sie verschleppt wurden - und ihre Familien sind in vielen Fällen nicht bereit sie zurück zu nehmen. Sich alleine niederzulassen ist für diese Frauen in der indischen Gesellschaft auch nicht wirklich eine Möglichkeit. Seema meint, dass sie einige Ehen gesehen hat, doch die Frauen sein nach wenigen Wochen oder Monaten immer wieder zurück gekehrt, da die Konflikte um ihre Vergangenheit immer zu gross wurden.

Ich bin hin und her gerissen zwischen wütendem Fussaufstampfen, weil man doch irgendwie was machen MUSS und andererseits resigniertem Schulterzucken, weil es offensichtlich aussichtslos ist, zu verhindern und man nur in allerkleinsten Schrittchen Dinge verbessern - nicht verändern - kann. So viel gäbe es auch noch zu berichten und zu beschreiben, doch dazu an andere Stelle ein andermal mehr.